Damit haben Sie nicht gerechnet: ein paar Gedanken zur Mathematik.
- soerensschroeder
- 6. Jan. 2021
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 6. Jan. 2021
„Wer Mathe kann, kann alles.“ Das sagte mein ehemaliger Mathelehrer im Gymnasium immer. Und ich war schon damals nicht zu 100 Prozent sicher, ob er damit Recht hatte. Insbesondere im Sportunterricht zeigte sich nämlich, dass die besten Mathematiker der Klasse zugleich oftmals die schlechtesten Hürdenläufer, Hochspringer oder Brennballspieler waren.
Für Dinge, die zu einem gewissen Grad koordinierte Bewegungen erforderten, hatten die Rechenkünstler in der Regel wenig Talent. Und wenig bedeutet in diesem Fall: gar keins. Doch wenn sie alles gekonnt hätten, hätten sie ja auch Sport können müssen. Oder fällt Sport nicht unter die Kategorie „alles“?! Sicher, die moderne Welt hat der Mathematik vieles zu verdanken. Ohne Algorithmen kein Google. Ohne Google keine Online-Suche. Und ohne Online-Suche kein Finden von den Webseiten, die einem erklären, was Algorithmen eigentlich sind. Andererseits: Ohne Mathematik gäbe es keine Algorithmen – und wir müssten somit auch nicht danach googeln.
Aber Mathematik ist ja viel mehr als Algorithmen. Mathematik ist auch Stochastik, Geometrie und Kurvendiskussion. Oder anders ausgedrückt: Mathematik ist kompliziert. Können Sie von den Dingen, die Sie einmal im Mathe-Unterricht gelernt haben, heute noch irgendwas? Also jetzt mal abgesehen vom 1x1, dem Satz des Pythagoras und einem simplen Dreisatz? Haben Sie Mathe überhaupt irgendwann mal richtig verstanden? Warum muss man sich eigentlich jahrelang mit diesem Zeug quälen? Das ist doch sinnlos. Warum muss ich denn wissen, ob und wann der Limes gegen unendlich tendiert. Wem hilft denn das? Das ist doch so was von egal. Da geht doch auch Lebenszeit bei verloren. Wertvolle Lebenszeit, die man der Beantwortung von Fragen widmen muss, die für das eigene Leben Null Relevanz haben. Das ist doch absurd.
Und jetzt kommen Sie mir bloß nicht mit dem Argument, es gäbe durchaus diverse Matheaufgaben, die einen ganz realen Alltagsbezug haben. Nur, weil die sogenannten Sachaufgaben aus der Grundschule immer vermeintlich eine Situation aus dem täglichen Leben mit einbeziehen: „Hansi will wissen, wie alt sein Opa ist. Dieser antwortet: Teilt man mein Alter durch 9, dann bleibt der Rest 6. Teilt man 66 durch mein Alter, dann bleibt auch der Rest 6. Berechne zuerst die Lösungsmengen der ersten Antwort, dann die der zweiten Antwort und suche dann das Alter des Großvaters.“ Jetzt mal im Ernst: Welcher Opa würde seinem Enkel denn so eine Antwort geben? Das ist doch allein schon deshalb unrealistisch, weil der alte Mann seine eigene Frage doch unter Garantie selbst gar nicht beantworten könnte. Um das zu wissen, braucht man nicht einmal Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Oder ein anderes Beispiel: Erika. „Erika möchte ihre Superstar-Sammlung erweitern. Dazu kauft sie einige Poster, 3CDs, 48 Aufkleber und eine DVD. Insgesamt bezahlt sie 94,13 €. Folgende Preise sind bekannt: Ein Aufkleber kostet 39 Cent, die drei CDs kosten 19,99 € und die DVD 44,50 €. Wie viele Poster kauft Erika?“ Naja, … warum kauft Erika überhaupt Poster? Und warum kauft sie CDs? CDs kauft doch heute keiner mehr. DVDs auch nicht. Jedenfalls liefert so eine Aufgabe kein zwingendes Argument dafür, warum man sich mit Mathematik beschäftigen sollte.
Und überhaupt sind doch die meisten Leute, die sich näher mit Mathematik befassen, ziemlich einsame Leute. Kein Wunder also, dass die Mathematik so voller unterdrückter Erotik steckt. Glauben Sie nicht? Dann denken Sie doch mal kurz darüber nach, wie die Seitenlinien eines Dreiecks heißen... Richtig: Schenkel. Warum ist das so? Warum finden sich in der Mathematik so viele Begriffe wie „Gleichschenkliges Dreieck“, „Diagonalverfahren“, „Kurvendiskussion“ oder „Phase einer harmonischen Schwingung“? Und das sind ja noch die unverfänglichen.
Dazu gibt es ja auch noch Sachen wie „Durchstoßpunkt“, „Periode“, „Potenz“, „Potenzfunktion“ und „sphärischen Exzesse“. Alles „Fachvokabular“, das zum Einsatz kommt, wenn es darum geht die ganzen Vorgänge zu beschreiben, die von „spitzen und stumpfen Winkeln“, „exponentiellem Wachstum“, „Wachstumsvergleichen“ und „Zahlenpaaren“ handeln. Die gesamte Mathematik wimmelt nur so von sexuellen Anspielungen. Man sollte deshalb ernstlich hinterfragen, ob es zu verantworten ist, dass sich Schüler jahrelang mit derart zweifelhaftem Gedankengut beschäftigen.
Wohin das im schlimmsten Fall führen kann, zeigen ja Beispiele wie das des Mathematikers Shanks. Dieser verbrachte sein Leben damit, etwa 700 Nachkommastellen von Pi (dieser 3,14... Zahl, die man aus der Geometrie kennt) zu berechnen. Pro Stelle brauchte er ca. 14 Tage. Und da er sich zwischendurch verrechnete, hat er nicht nur 9800 Tage damit verbracht Nachkommastellen zu berechnen, sondern dies letzten Endes auch noch vergeblich getan, weil sich zwischendurch ein Fehler eingeschlichen hatte.
Ein schönes Beispiel dafür, worum es sich bei der Mathematik unterm Strich handelt: eine Addition von Momenten, die Frustration zum Ergebnis haben.
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