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«Das haben wir schon immer so gemacht!» Über Routinen.

  • soerensschroeder
  • 26. Sept. 2021
  • 4 Min. Lesezeit

Routinen sind gut. Wer sich routinemässig die Zähne putzt, pflegt diese und verhindert Karies und Baktus. Wer routinemässig Sport treibt, pflegt seine Figur und beugt Fettleibigkeit vor. Wer routinemässig daran denkt, Geburtstagsgrüsse zu versenden, pflegt seine Freundschaften und reduziert das persönliche Risiko der Vereinsamung. Routinen machen ausserdem erfolgreich. Das kann man in einer ganzen Reihe von klugen Management-Ratgebern nachlesen. Da wird dann erläutert, dass wir uns nur eine Reihe von guten Routinen aneignen müssen und schon läuft die Karriere wie am Schnürchen.



Als Beweis für diese These werden erfolgreiche Menschen angeführt, die besonders strengen Routinen folgen und dabei äusserst erfolgreich sind. Tim Cook zum Beispiel, seines Zeichens Apple CEO, steht angeblich jeden Morgen um 3.45 Uhr auf und liest eine Stunde lang User-Kommentare. Man kann nur mutmassen, ob der arme Mann danach noch einmal schläft, ob er Abends schon um 18 Uhr ins Bett geht oder ob er einfach sein Leben lang chronisch müde ist – aber es darf doch zumindest bezweifelt werden, ob diese Routine wirklich ursächlich für seinen Erfolg ist. Zumindest seinem Sozialleben wird sie nicht unbedingt zuträglich sein. Wobei wiederum die Frage ist, ob jemand mit seinem Erfolg überhaupt Interesse an einem Sozialleben hat.


Klaus «Dafür stehe ich mit meinem Namen» Hipp, Gründer und Gesicht der bekannten Baby-Produkte-Marke Hipp, pilgert hingegen jeden Morgen zu einer Kapelle im Wald. Vermutlich muss der Mann schon lange nicht mehr arbeiten. Und wahrscheinlich liegt seine Villa auch so, dass es ein schöner morgendlicher Spaziergang zu dieser Kapelle ist. Das könnten sich viele andere Menschen vermutlich auch gut vorstellen. Aber wahrscheinlich macht ihre Lebensrealität – sie wohnen nicht in einer Villa im Wald mit Kapelle in der Nähe – es ihnen unmöglich. Jedenfalls drängt sich auch hier die Frage auf, ob die Routine eines pensionierten Multimillionärs als Beispiel dafür taugt, dass Routinen erstrebenswert sind.


Grundsätzlich haben die meisten Menschen ohnehin ein ambivalentes Verhältnis zu Routinen. Einerseits ist der Nutzen von Dingen wie Zähneputzen und Joggen evident. Andererseits macht das nicht unbedingt Spass. Nicht umsonst sprechen wir von den lästigen Routinen. Wie geht man also damit um?


Zum einen kann man die Routine-Erfahrung durch ein neues Erlebnis-Design in eine Experience verwandeln (Ui, das klingt jetzt aber arg nach Marketing-Sprech…). Trotzdem ein kurzes Beispiel: Mein Sohn hatte in der Vergangenheit wenig Freude am täglichen Zähneputzen. Es war jeden Tag aufs Neue ein Kampf. Doch dann haben wir ihm eine elektrische Zahnbürste gekauft. Das Ergebnis: Am nächsten Tag hat er sich 20x die Zähne geputzt. Und seitdem ist Zähneputzen kein Thema mehr. Man kann Routinen also durchaus so gestalten, dass sie Spass machen.


Und zum anderen ist es so, dass wir uns eigentlich mit Routinen recht wohlfühlen, auch wenn wir ab und an vermeintlich ausbrechen wollen. Glauben Sie nicht? Dann denken Sie doch mal kurz an Ihre letzten Ferien. Oder Ihre letzte Seminarteilnahme. Immer dann, wenn man Menschen in eine neue Umgebung bringt, kann man nämlich die Neigung zur Routine beobachten. Jetzt mal Hand aufs Herz: Haben Sie sich jeden Tag einen neuen Platz im Restaurant gesucht? Oder im Seminarraum? Eben. In der Regel sitzen doch die meisten trotz freier Platzwahl im Hotelrestaurant spätestens ab dem zweiten Tag immer am selben Tisch. Dasselbe gilt im Konferenzraum. Und auch in modernen Grossraumbüros tendiert die Mehrzahl der Mitarbeitenden dazu, sich nicht jeden Tag einen neuen Platz zu suchen, sondern nach einer kurzen Phase der Orientierung immer denselben Platz einzunehmen. Oder stets aus einem fixen Set von Plätzen auszuwählen. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier. Und das macht ja auch Sinn.


Entscheidungen treffen ist nämlich anstrengend. Von daher bringt einem eine Routine jede Menge kognitiver Entlastung: Je weniger ich darüber nachdenken muss, welchen Weg ich ins Büro nehme, auf welchem Platz ich sitze oder was ich mittags esse, desto besser. Dann kann ich mich nämlich auf die wirklich wichtigen Entscheidungen konzentrieren. Jene, die man nicht so einfach im Routine-Modus treffen kann. Und davon gibt es immer mehr. Daher wird das Vorhandensein von vielen Routinen zunehmend zu einem Problem. Zumindest dann, wenn diese dazu führen, dass wir nicht mehr unvoreingenommen an neue Aufgaben herangehen, sondern mit dem «Das haben wir schon immer so gemacht»-Mindset. Das hilft zwar dabei, anstehende Aufgaben möglichst effizient abzuarbeiten. Es behindert aber massiv die Suche nach neuen und innovativen Lösungen.


Nun muss man zugeben, dass solche Lösungen ja gar nicht immer und überall nötig oder gefordert sind. Es gibt sicher viele Berufsfelder, wo man mit standardisierten Vorgängen bestens zurechtkommt. Allerdings ist die Zahl dieser Berufsfelder rückläufig. Schliesslich können alle Tätigkeiten, die sich leicht in Routinen verwandeln lassen, auch sehr einfach automatisiert werden. Und immer dann, wenn eine Automatisierung möglich ist, wird diese früher oder später auch eintreten. Die Jobs, die für uns Menschen übrig bleiben, werden also vermehrt die sein, in denen ein Denken gefordert ist, dass sich nicht mal so eben automatisieren lässt. Sprich, Kreativität wird immer wichtiger.


Kreativität zeichnet sich aber gerade durch das Brechen von Normen aus. Kreativität ist somit immer eine Anti-Routine. In Anti-Routinen denken, ist aber nur dann möglich, wenn man nicht ein Routine-Mindset pflegt. «Das haben wir schon immer so gemacht.» ist das Gegenteil von kreativ. Was also tun?


Auch hier hilft wieder eine Routine: Nämlich die Anti-Routine-Routine. Nehmen Sie sich jeden Tag 15 Minuten Zeit und denken Sie nach. Knüpfen Sie sich ein beliebiges Problem vor und denken sie darüber nach, wie man dieses auf eine neuartige Weise lösen könnte. Oder noch besser: Denken Sie sich überhaupt erstmal ein neues Problem aus, das es in dieser Form noch nicht gibt, bevor Sie nach Lösungen suchen. Auf diese Weise trainieren Sie Tag für Tag Ihre Kreativität. Gleichzeitig profitieren Sie vom Automatisierungseffekt der Routine. Wenn es für Sie nämlich zur Gewohnheit wird, kreativ zu denken, dann machen Sie das automatisch und es fällt ihnen leichter. Der Clou: Sie nutzen den positiven Effekt der Routine, ohne auf der anderen Seite den negativen Gewöhnungseffekt zu haben, der sie Veränderungen gegenüber unflexibel macht.


Zusammengefasst:

Routinen machen uns das Leben leichter, indem sie für kognitive Entlastung sorgen. Gleichzeitig machen sie uns das Leben schwer, indem sie unsere Fähigkeit reduzieren, aktiv nach neuen Lösungen zu suchen. So werden wir anfällig für das bekannte «Das haben wir schon immer so gemacht»-Denken. Einen Ausweg aus der Situation bietet uns das Schaffen kreativer Routinen – oder: Anti-Routine-Routinen.

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