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Keine Fake News. Trotzdem schon länger falsch: «Common Misconceptions».

  • soerensschroeder
  • 11. Nov. 2020
  • 4 Min. Lesezeit

In einer Zeit, in der absichtliche Falschmeldungen an der Tagesordnung sind, lohnt es sich, häufiger mal kritisch hinzuschauen. Das gilt nicht nur für neue Meldungen, sondern auch für lang bekannte Wahrheiten. Zum Beispiel die Tatsache, dass die chinesische Mauer das einzige Bauwerk auf der Erde ist, das man aus dem Weltraum sehen kann. Oder dass Hummeln – rein physikalisch betrachtet – gar nicht fliegen können dürften. Oder dass Menschen im Mittelalter nur etwa 30 Jahre alt wurden.


Bei genauerem Hinsehen halten diese vermeintlichen Wahrheiten einer Prüfung nämlich gar nicht stand. Es handelt sich bei allen Beispielen um sogenannte «Common Misconceptions», Volkswahrheiten, die in Wahrheit gar keine Wahrheiten sind. Trotzdem stecken viele dieser Populär-Gerüchte hartnäckig in unseren Köpfen. Dabei ist beispielsweise die in den 1930er Jahren getroffene Annahme des französischen Etymologen Antoine Magnan, wonach eine Hummel nicht fliegen können sollte, schlichtweg ein Fehler. Dieser wurde auch von ihm selbst erkannt. Und dennoch hält sich seine falsche Hypothese bis heute.


Selbiges gilt für die Lebensspanne im Mittelalter. Ja, die Menschen lebten damals nicht ganz so lang wie heute. Aber dass sie im Schnitt nur 30 Jahre alt geworden wären, ist nicht korrekt. Eine Fehlannahme, die zeigt, was passiert, wenn man einfach einen Mittelwert bildet. Richtig ist: Im Mittelalter war die Kindersterblichkeit extrem hoch. Das bedeutet, viele Menschen wurden bei weitem nicht 30 Jahre alt, sondern starben noch im Kindesalter. Wer es jedoch schaffte, die Kindheit lebendig zu überstehen – wer also z. B. 21 Jahre alt wurde –, konnte damit rechnen, über 60 Jahre alt zu werden. Ungeachtet seiner Essgewohnheiten, übrigens.


Essen ist ja auch so ein Thema, bei dem sich Wahrheit und Mythos die Hand reichen. Sicher haben Sie schon einmal davon gehört, dass die Menschen im Alten Rom bei ihren Festmählern zu speisen pflegten, bis sie sich erbrechen mussten, nur um danach fröhlich

weiterzutafeln? Eine Legende. Zwar gab es bei den alten Römern ein sogenanntes «Vomitorium» – dieses diente allerdings zum Betreten und Verlassen von Stadien und nicht dazu, sich zwischen den Gängen (des Dinners) gewollt zu übergeben.


Auch die Vorstellung, dass eine Mahlzeit kurz vor dem Schwimmengehen Krämpfe verursacht, ist weit verbreitet, konnte in Studien jedoch nicht nachgewiesen werden. Ungeachtet dessen wird auch heute noch davor gewarnt. Genauso wie vor dem Verschlucken von Kaugummis. Doch hier kann man ebenfalls Entwarnung geben: Ein verschluckter Kaugummi verbleibt keine sieben Jahre im Darm, bis er verdaut ist. Zwar ist Kaugummi so gut wie unverdaulich, wird dafür aber zeitnah ausgeschieden.


Und noch ein letzter Essensmythos soll an dieser Stelle ausgeräumt werden: Glückskekse kommen nicht aus China, auch wenn viele Amerikaner das denken. Glückskekse kommen aus Japan und sind in China sehr selten. Absurderweise sind Glückskekse in China ein Symbol für die amerikanische Küche. Auch die Asiaten sind also vor falschen Volkswahrheiten nicht gefeit. In Südkorea glaubt man beispielsweise, das ein elektrischer Ventilator, der nachts in einem geschlossenen Raum läuft, Tod durch Ersticken oder Überhitzung verursachen kann. Eine ähnlich bizarre Phobie wie die Angst der Briten vor Steckdosen im Badezimmer.


Bei so viel irrationaler Angst weltweit wundert es einen kaum noch, dass im Jahr 1938 eine Massenpanik in den Vereinigten Staaten ausbrach – ausgelöst durch die Uraufführung von H. G. Wells «Krieg der Welten» im Radio. Nur dass es sich in diesem Fall bei der Massenpanik um eine Erfindung der Printmedien handelte, um Radio als Wettbewerber-Medium für Werbung zu diskreditieren. Deshalb wurde die Berichterstattung über eine angeblich enorme Anzahl von Notrufen gepusht, wobei die Zuhörerschaft des Hörspiels in Wahrheit sehr begrenzt war und es gar keine besonderen Vorkommnisse gab. Dennoch ist uns die Massenpanik (fälschlicherweise) bis heute als solche in Erinnerung.

Auch was Tiere angeht, gehen wir übrigens oftmals von völlig falschen Annahmen aus: Fledermäuse können z. B. entgegen der landläufigen Meinung sehr gut sehen – manche von ihnen sogar so gut, dass sie per Nachtsicht navigieren und nicht per Echolot; Eintagsfliegen leben nicht nur einen Tag sondern 20-30 Tage; das Gedächtnis von Goldfischen hat nicht nur eine Kapazität von wenigen Sekunden sondern von mehreren Monaten. Strauße stecken ihren Kopf bei Gefahr nicht in den Sand und Elefanten gehen zum Sterben nicht an einen einsamen Ort. Der sogenannte Elefantenfriedhof ist eine romantische Erfindung.


Letzteres gilt auch für die ständige Telefon-Hotline, die es angeblich während des Kalten Krieges zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml gab – mit so einem roten Telefon auf dem Schreibtisch jedes der beiden Präsidenten. In Wahrheit bestand diese Verbindung lange Zeit aus profanen Faxgeräten. Im Jahr 2008 wurde sie dann durch eine sichere Verbindung zum Austausch von E-Mails ersetzt. Rote Telefone gab es nie.

Doch was bedeutet es, wenn wir in einer Welt leben, in der so viele Gerüchte und Fehlinformationen kursieren, die wir alle für bare Münze nehmen? Gibt es denn überhaupt noch irgendwelche Gewissheiten? Und wie kann man sich gegen die «Common Misconceptions» schützen? Als 2003 der erste chinesische Raumfahrer, Yang Liwei, feststellte, dass er die chinesische Mauer aus dem Weltall nicht sehen konnte, wurden die Schulbücher in China neu gedruckt. Genützt hat uns das im Rest der Welt leider wenig. Hier ist der Irrglaube nach wie vor weit verbreitet. Und vermutlich wird sich daran auch so schnell nichts ändern.


Deshalb zum Abschluss immerhin noch eine Information, die Hoffnung weckt: Falls Sie demnächst unter dem Empire State Building entlang spazieren, müssen Sie sich keine Sorgen machen, von einem herabfallenden Penny erschlagen zu werden. Die Geschwindigkeit eines fallenden Pennies wird niemals eine Geschwindigkeit von 80 km/h überschreiten, egal aus welcher Höhe er herabfällt. Und mit dieser Geschwindigkeit hat er zu wenig Impact, um Ihre Schädeldecke zu verletzen. Abgesehen davon, dass aufgrund der Gebäudeform kein Penny direkt vom Empire State Building auf die Strasse fallen kann. Und somit auch nicht auf Ihren Kopf.

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©2020 Sören Schröder

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