Echte Erfolgsgeschichten: Markenmärchen.
- soerensschroeder
- 2. Dez. 2020
- 3 Min. Lesezeit
Authentizität ist King. Heutzutage muss Kommunikation vor allem authentisch sein. Oder? Nun, grundsätzlich stimmt das. Die Konsumenten sind gut informiert, kritisch und ein glaubwürdiger Markenauftritt steht bei den meisten hoch im Kurs. Da ist Authentizität in der Kommunikation natürlich zentral. Allerdings sind ein authentischer Markenauftritt und wahre Authentizität nicht immer dasselbe. Denn mit dem richtigen Storytelling, kann man äusserst stimmig kommunizieren – auch wenn es sich nur um eine ausgedachte Geschichte handelt. Oder anders gesagt: ein Markenmärchen.
Doch, was bedeutet das jetzt konkret? Dazu schauen wir uns am besten ein Beispiel an, das die erfolgreiche Etablierung eines Markenmärchens perfekt verkörpert: Hendrick’s Gin. Einer der bekanntesten Vertreter auf dem boomenden Markt der trendigen Spirituosen. Abgefüllt in der charakteristischen Apotheker-Flasche ist dieser in jedem gut sortierten Supermarkt einfach zu finden. Aus der Nähe betrachtet liest man auf dem viktorianisch anmutenden Etikett die Wörter «small batch» (kleine Menge), «handcrafted» (handgemacht) und «Est. 1886». All das vermittelt den Eindruck, es würde sich bei Hendrick's Gin um einen echten Traditions-Gin handeln.
Nur leider ist dem nicht so: Hendrick’s Gin ist keine legendäre Marke. Das Produkt ist vielmehr eine «Markenlegende», eine Erfindung der Firma William Grant & Sons, dem drittgrössten Scotch-Whisky-Produzenten der Welt, und wurde erst im Jahr 2000 in den USA eingeführt. Das Jahr 1886 (der Aufdruck auf der Gin-Flasche) hat mit dem Hendrick’s Gin nicht direkt etwas zu tun. Vielmehr handelt es sich dabei um das Jahr, in dem William Grant seine erste Whisky-Brennerei gründete. Was also aussieht wie ein Traditionsbrand ist ein Wirklichkeit ein Markenmärchen. Aber gut gemacht. Und damit auf den ersten Blick absolut authentisch. Enttäuschend ist es lediglich dann, wenn man die wahre Geschichte kennt (Sorry dafür).
Hendrick's Gin ist jedoch nur eine Marke unter vielen, die ihr Image mit einer guten Story aufgepimpt hat. Da gibt es noch jede Menge andere. Und es macht ja auch Sinn. Denn die richtige Geschichte entscheidet über Erfolg und Misserfolg einer Marke. Nehmen wir zum Beispiel Marlboro, die meistverkaufte Zigarettenmarke der Welt. Hört man diesen Markennamen, denkt man vermutlich zuerst an einen Cowboy, der auf dem Rücken seines Pferdes durch Marlboro Country reitet – begleitet von niemandem ausser der einladenden Headline «Come to where the flavour is.». Und obwohl Philipp Morris sich vor einigen Jahren entschieden hat, diese legendäre Markengeschichte zu modernisieren, so ist es doch das Bild des einsamen Cowboys, das bei uns allen tief verankert ist. Dabei hat die Marlboro Zigarette mit Cowboys eigentlich gar nichts zu tun.
Zunächst, d. h. 1885, wurde die Marke in London verkauft und hiess nicht einmal Marlboro, sondern Marlborough (nach dem Earl of Marlborough). Erst mit der Markteinführung in den USA 1924 erfolgte eine Anpassung des Namens. Fortan wurde die Zigarette unter dem Namen Marlboro verkauft – vorwiegend an Frauen. Der passende Slogan lautete «Mild as May» und die Filterenden waren rot, damit der Lippenstift nicht zu sehen war. Doch anscheinend war der gesamte Markenauftritt zu mild. Jedenfalls blieben die Verkäufe weit hinter den Erwartungen zurück. Währen des Zweiten Weltkriegs wurde die Marke sogar kurzfristig vom Markt genommen.
Erst nach dem Relaunch 1954 gelangte Marlboro auf die Erfolgsspur. Grund dafür war der Marlboro-Mann. Mit diesem Testimonial gelang Marlboro der Aufstieg zur meistverkauften Zigarettenmarke der Welt. Die Geschichte von dem einsamen Cowboy, der auf dem Rücken seines Pferdes eine Zigarette raucht, war genau die Geschichte, die Raucher hören wollten – und die Marlboro letztlich zu einer legendären Marke machte.
Dabei spielte es keine Rolle, dass die Marke mit Cowboys rein gar nichts zu tun hatte. Genauso wie es beim Hendrick’s Gin gleichgültig ist, dass seine Markengeschichte in der Unternehmens-DNA nicht verwurzelt ist. Was zählt ist einzig und allein die stimmige Story. Oder anders gesagt: Legendäre Marken entstehen durch gut konzipierte Markenlegenden.
PS: Falls Sie sich jemals fragen, warum es auf der ganzen Welt Agenturen gibt, bei denen «Leo Burnett» über der Eingangstür steht, dann wissen Sie es jetzt. Leo Burnett war es nämlich, der den Cowboy als Werbefigur für Marlboro etablierte und damit eines der besten und bekanntesten Markenmärchen schrieb.
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